Donnerstag, 14. Januar 2010

KUNST: Zeig deine Wunden


Tracey Emin: People like you need to fuck people like me (2002)

Wasted British Artist: Tracey Emin


Moderne Kunst ist eigentlich nur Diskussion. Das faszinierende an ihr ist ein einfaches Konzept: Man stelle etwas in einem Raum, deklariere es als Kunst, und lasse die Leute darüber sprechen. Viel mehr passiert nicht. Wie oft kommt uns beim Anblick moderner Kunst der Gedanke: Okay, also das hätte ich auch hinbekommen. Auch wir könnten – wie Damien Hirst – einen Totenschädel mit Diamanten besetzen lassen, oder eine verwesende Kuh in die Tate Gallery legen, und es als Kunst erklären. Was daher umso mehr zählt, ist der Gedanke dahinter. Und der sollte möglichst neu sein. Am besten provokativ, denn so sprechen die Leute darüber. Und die Diskussion ist das einzige, in der sich das moderne Kunstwerk weiterentwickelt.

Tracey Emin hat dieses Konzept schon lange begriffen. Die 1963 in London geborene Künstlerin produziert Provokation am laufenden Band. In ihrem Werk „My Bed (1999)“ stellt sie ihr benutztes Bett zur Schau, samt durchwühlter Bettwäsche, benutzen Kondomen und blutiger Unterwäsche. Postum würde sie mit diesem Werk für den renommierten Turner Prize nominiert. Konzept Provokation? Aufgegangen.




Tracey Emin: My Bed (1999)

Tracey Emin scheint einiges erzählen zu wollen – und sie hat einiges zu erzählen: Aufgewachsen in einer ärmlichen Vorstadt von London wird sie jahrelang von einem Freund der Familie missbraucht, sie verweigert daraufhin die Nahrung, bis ihr die Zähne ausfallen, bis in die Pupertät bleibt sie Bettnässerin. Mit 15 wird sie von einem älteren Mitschüler vergewaltigt, entdeckt Drogen und Vorstadt-Discos für sich, schmeißt die Schule und zieht nach London. Sie wird schwanger, entscheidet sich für eine Abtreibung, welche fehlschlug: Nach stundenlangen Schmerzen im Krankenhaus entgleitet ihr der Embryo in einem Taxi auf dem Weg nachhause. In ihrem Buch Strangeland beschreibt sie all diese Erfahrung ausführlich. Es ist eine erchreckende Offenheit, die sich in ihren Kunstwerken finden: Everyone I Have Ever Slept With 1963-95 zeigt die Namen all ihrer Sexualpartner.




Tracey Emin: Everyone I Have Ever Splet With 1963-95 (1995)

Zeig deine Wunden, dazu rief Beuys in einer Installation von 1965 auf. Er selbst, gebeutelt vom 2. Weltkrieg, in welchem er in einem Kampflugzeug abstürzte, thematisierte seine Erfahrungen, Meinungen und seinen Charakter. Ohne die Persönlichkeit Beuys gibt es auch kein Kunstwerk. Nur das Gesamtpaket ist zu haben. Der Schlüssel moderner Kunst ist nicht nur Provokation: Es ist auch die Einbringung der eigenen Person und der eigenen Erfahrung. Tracey Emin legt einen Seelenstriptease hin: ganz nach dieser Aufforderung, seine Wunden zu zeigen, arbeitet die Künstlerin. Mit Beuys hat sie ein wichtigen weiteren Aspekt moderner Kunst gemein: Der Künstler selbst ist genauso wichtig wie das Kunstwerk, untrennbar voneinander. Kommt das Eine ins Rampenlicht, gehört das Andere unweigerlich hinzu. Joseph Beuys war der Erste, der sich selbst als Kunstwerk einbrachte, Tracey Emin tut es ihm gleich. Habe etwas zu erzählen, tu es laut und tu es schrill, am besten gesellschaftskritisch, nehme kein Blatt vor den Mund. So die Maxime. Gib den Leuten eine Identifikationsmöglichkeit: Sei fehlbar.

Eines Tages griff Tracey Emin zu einem Pinsel und schrieb mit krakeligen Buchstaben auf eine Leinwand: „This is what I do to make money“ – das Werk verkaufte sich für mehrere Tausend Pfund. Das ist es, was Ich tue, um Geld zu verdienen. Ein Parade-Beispiel, für Tracey Emin und für die ganze Moderne Kunst: Provokation? Ja. Selbstinszenierung? Ja. Es funktioniert: Die Leute sind empört, belustigt, verständnislos. Aber es wird darüber gesprochen. Moderne Kunst ist eben nur Diskussion - um ein Kunstwerk und immer um den Künstler dahinter.

Ich schreibe gerade an einer Seminararbeit über das Thema "Narration - Narrationen : Tracey Emin", betreut von Prof. Dr. B. Lange/Kunsthistorisches Institut Universität Tübingen. Falls ich euer Interesse an Tracey Emin geweckt habe, schicke ich es zu. Eine verkürzte Version gibt es auch auf englisch.



4 Kommentare:

  1. Interessant!

    check it out: http://whitepalms.wordpress.com/
    !

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  2. rike, gefällt mir, und schick mir dein essay mal, wenn du magst!

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  3. wo is mein comment hin? ;(
    rike endlich!! :) mehr davon

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  4. ich schreibe im moment auch eine seminararbeit über Tracey Emin und würde mich über dein essay sehr freuen..
    warte auf deine antwort dann würde ich dir sehr gerne meine email adresse geben.!
    ganz liebe grüße.. Lui

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