Dienstag, 24. August 2010

"Ich habe kein Bock auf Harfe spielen und singen und musizieren und auf einer Wolke herumgammeln"

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Als Christoph Schlingensief über der Inszenierung des Parsifal der Bayreuther Festspiele 2004 brütete, ließ er verlauten, dass ihn diese Arbeit wohl krank machen würde. Womöglich bekäme er Krebs davon.
Als sich diese dunkle Vorahnung 2008 bewahrheitete, sagte Schligensief der Krankheit öffentlich den Kampf an. Am 21. August, vor wenigen Tagen, hat er diesen verloren.

"Wenn dein Leben sich in eine Tragödie verwandelt, versuche, sie als Zuschauer zu betrachten", sagte Schlingensief in einem Interview kurz nach dem Ausbruch seines Krebsleidens. Schlingensief versuchte nicht nur, diese Tragödie als Außenstehenden zu betrachten, er setzte uns ins Publikum. In seinen folgenden Inszenierungen machte er die Krankheit zum heimlichen Hauptdarsteller, etwa in seine Inszenierung Kirche der Angst vor dem Fremden in mir auf der Ruhrtriennale 2008 in Duisburg: Das Bühnenbild, einem sakralen Raum ähnelnd, wurde dominiert von dem Röntgebild seiner Lunge - in einem Pappschrein angebracht. Daraus blickte auf der linken Seite eine große schwarze Fläche: Schlingensief wurde im Zuge einer Operation ein Lungenflügel entfernt.

Schon in Parsifal zitierte Schlingensief überdeutlich den großen Joseph Beuys und lies in Zeitraffer die Verwesung eines Hasen über eine große Leinwand laufen. Wie man dem toten Hasen Bilder erklärt - eine Perfomance Beuys' aus dem Jahre 1965 - neu interpretiert. Beuys sagte damals zu diesem Werk: "Für mich ist der Hase das Symbol der Inkarnation (...). Er gräbt sich ein, er gräbt sich einen Bau. Er inkaniert sich in die Erde, und das allein ist wichtig."
Schlingensief grub sich nicht ein. Ganz im Gegenteil: Er preschte mit seiner Krankheit in die Öffentlichkeit und ließ in Kirche der Angst vor dem Fremden in mir rufen: "Ja, zeig mal deine Wunde. Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt. Wer sie verbirgt, wird nicht geheilt." Wieder einmal Beuys, der mit seiner Installation Zeige deine Wunde von 1975 Heilung durch Thematisierung propagandierte.
Schlingensief hat uns seine Wunden nicht nur gezeigt, er hat auch seine Angst mit der Öffentlichkeit geteilt. Im Dezember 2009 inszniert er in Zürich Sterben Lernen (Herr Andersen stirbt in 60 Minuten) und bietet dem Todgeweihten Hauptdarsteller ein Schnelldurchlauf durch die Philosophengeschichte, gemischt mit Chmeotherapie und lässt einen Priester das "Adventure des Sterbens" einläuten. Bittere Pillen, knallbunt und schrill angemalt, die er da schlucken lässt. Aber alles halb so wild, denn am Ende wird Herrn Andersen verkündet: "Du musst nicht sterben, wir hier sind im Theater."

Zwar war Schlingensief ein Meister der Bühne und Presse und Öffentlichkeit sein Publikum, aber die Realität folgt anderen Gesetzen als dem Theater. Sein unbändiger Lebenswille ist das beklemmende und erschütternde an dem Tod des Künstlers, der einst sagte: "ich habe kein Bock auf Himmel. ich habe kein Bock auf Harfe spielen und musizieren und irgendwo auf einer Wolke herumgammeln". Er wollte einfach noch nicht gehen.
Schlingensief hinterlässt mit 49 Jahren ein gewaltiges, komplexes und enorm vielseitiges Oeuvre. Sein neustes Projekt, ein Festpielhaus für Afrika konnte er nicht beenden. "Man will doch, dass etwas bleibt, wenn man nicht mehr da ist. Aber das ist eine Illusion. Es bleibt nichts", sagte Schlingensief einst. Ich hoffe sehr, dass er sich in diesem Punkt getäuscht hat.



Wem Schlingensief nicht vertraut ist, dem sei sein Hörspiel Rosebud (2002) wärmsten ans Herz gelegt, um sich einen kleinen Einblick ist seine Arbeit zu verschaffen. Allen anderen übrigens auch.

3 Kommentare:

  1. thanks for sharing:))

    http://minnja.blogspot.com/

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  2. really nice blog! it's weird that i never found it before during my blog browsing! i'm a fan!

    x zoé

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